Unsere Sinnesorgane arbeiten nichtlinear, und das ist gut so: Ohren und Augen sind für schwache Signale wesentlich empfindlicher als für sehr laute und sehr helle Töne. Wäre das anders, könnten wir leise Stimmen nicht hören und in der Dunkelheit kaum sehen. Das Ohr reagiert auf eine Verzehnfachung des Schalldrucks nur mit einer wahrgenommenen Verdopplung der Lautstärke.
Ähnlich reagiert das Auge auf unterschiedliche Lichtintensitäten logarithmisch, dadurch ist es in der Lage, einen enorm großen Helligkeitsbereich von etwa 11 Zehnerpotenzen (vom Sternenlicht bis zur Blendung) zu verarbeiten. Die bekannte, in der Fotografie benutzte Graukarte reflektiert nur 18 % des auffallenden Lichts, für unsere Wahrnehmung erscheint sie aber als mittleres (50 %iges) Grau. Trägt man die Empfindlichkeitskurve linear in Abhängigkeit von der physikalischen Lichtintensität auf, ergibt sich eine Potenzfunktion der Form
y = x^(1/Gamma)
Gamma hat dabei etwa den Wert 2,47.
Gammakurven Auf der horizontalen Achse ist die Helligkeit des Motivs aufgetragen,auf der vertikalen Achse der Tonwert des Digitalbildes. Einer 50 %igen Motivhelligkeit entspricht bei Gamma = 2,2 ein Pixeltonwert von fast 75 % des Maximums. Dies hat den Vorteil, dass für die untere Hälfte des Motivhelligkeitsumfangs nicht nur 128, sondern 186 Digitalisierungsschritte zur Verfügung stehen. In der Praxis verwendet man bei sehr kleinen Helligkeitswerten sogar eine lineare, nicht so stark ansteigende Funktion, um Bildrauschen weniger zu verstärken (ITU-R-Empfehlung Rec. 709, früher CCIR Rec. 709).
Ein Kamera-Sensor sollte etwa dieselbe Empfindlichkeitskurve haben, um die aufgenommenen Helligkeiten „wahrnehmungsgetreu“ in Spannungspegel zu verwandeln. Grund dafür ist wieder der 8-Bit-Flaschenhals, den alle Helligkeitspegel bei der Digitalisierung durchlaufen. Würde man die zur Verfügung stehenden 256 Helligkeitsabstufungen linear auf die physikalische Helligkeit verteilen, wären die sichtbaren Abstufungen zwischen zwei benachbarten Bitwerten im unteren Helligkeitsbereich sehr viel größer als die Wahrnehmungsschwelle des Auges – es käme bei Verläufen zur sichtbaren Streifenbildung. Umgekehrt würde im oberen, also helleren Bereich Information verschenkt, da die Unterschiede zwischen aufeinander folgenden Tonwerten gar nicht mehr wahrgenommen werden können.
Das „Gamma“ eines Bildes sagt uns also, wie stark nichtlinear die Tonabstufungen digital kodiert wurden. An der Bildhelligkeit ändert das Gamma nichts, denn es wird bei der Monitorwiedergabe durch die entgegengerichtete Gammafunktion des Monitors wieder ausgeglichen. Röhrenmonitore haben ein „natürliches“ Gamma zwischen 2,35 und 2,55. Obwohl das eigentlich ganz gut passt, haben sich historisch andere Gamma-Standards für die Bildwiedergabe eingebürgert: 1,8 auf dem Macintosh, 2,2 auf Windows-Systemen. Die Abweichungen zum nativen Gamma der Bildaufnahme-und Bildwiedergabegeräte müssen (meist gleich im Gerät oder in der Grafikkarte) korrigiert werden. Die unterschiedlichen Gamma von Mac und PC haben keine Auswirkungen, solange man im System bleibt. Wird jedoch ein am PC erstelltes, mit Gamma 2,2 kodiertes Bild am Mac betrachtet, erscheint es zu hell. Umgekehrt erscheint ein mit Gamma 1,8 am Mac erschaffenes Bild auf dem PC dunkler als im Original.
Auf die Frage, welcher Gammawert besser ist, gibt es nur eine Antwort: 2,2. Einmal liegt dieser Wert näher an der wahrnehmungsphysiologisch optimalen Kodierung mit Gamma 2,5, zum anderen wird die übergroße Mehrheit aller Bilder mit diesem Gamma erstellt und im Internet verbreitet. Mac-User sollten deshalb ebenfalls Gamma = 2,2 wählen.
Einige Experten raten allerdings davon ab, Bildbearbeitung in einem nichtlinearen gammabehafteten Farbraum zu machen – stattdessen solle intern stets mit Gamma = 1 gearbeitet werden (www.aim.dtp.net). Bei qualitativ sehr hohen Ansprüchen spricht auch einiges dafür, denn viele Bildbearbeitungswerkzeuge (Schärfen, Sättigung erhöhen etc.) erzeugen bessere, farblich homogenere Ergebnisse, wenn sie auf lineare statt auf gammaverzerrte Bilddaten angewendet werden. Besonders eklatant ist der Unterschied bei halbtransparenten Überblendungen und Auswahlen (z. B. per weicher Auswahlkante). Zur Vermeidung einiger solcher gammabedingter Fehler hat Adobe die missverständlich bezeichnete Option „RGB-Farben mit Gamma füllen“ in den Farbeinstellungsdialog eingebaut.
Wenn konsequent mit Farbmanagement gearbeitet wird, ist der zusätzliche Arbeitsaufwand für lineare Bildbearbeitung nicht groß. In Photoshop wählt man ein lineares Profil als Arbeitsfarbraum und konvertiert alle Dateien beim Öffnen. Vor dem Speichern müssen die Dateien entweder rückkonvertiert oder der lineare Farbraum in sie eingebettet werden.
Farbmanagement verstehen
Farbeinstellungen in Bildbearbeitungsprogrammen
Den Monitor auf optimale Darstellung trimmen
Farbeinstellungen von Digitalkamera und Scanner
Beste Farbqualität aus Ausgabegeräten herausholen
Die Artikel entsprechen inhaltlich weitgehend einer im Heft c't-special 4/04 veröffentlichten Artikelserie. Die Internet-Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Heinz Heise Verlags, bei dem auch das Copyright liegt.
Das Urheberrecht für die Beiträge und Abbildungen liegt, soweit nicht anders angegeben, bei den Autoren. Die Verwendung ist nur für private Zwecke gestattet. Weitergehende Verwendung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Rechteinhaber.
Beachten Sie, dass alle Informationen auf dem Stand von 2004 sind und für neuere Versionen der getesteten Software eventuell nicht mehr zutreffen.